Diese Kurzgeschichte basiert auf einer Schreibaufgabe aus dem Seitenwind-Wettbewerb 2023 des Papyrus-Forums. Ein gruseliges Haus spielt seinen Besuchern übel mit. Allerdings konnte ich mich nicht dazu durchringen, aus der Perspektive des Hauses zu schreiben. :)
In der letzten Zeit hatte es wenig geregnet. Die Nachtluft roch nach Erde. Staub hatte sich auf Trevors Sneakern und seinen Baggypants festgesetzt. Seit er den Wagen verlassen hatte, schmachtete er nach einer Zigarette. Einen tiefen Zug, die Nerven beruhigen – gäbe es nicht das verräterische Glimmen. So begnügte er sich damit, alle paar Schritte nach dem Feuerzeug in seiner Hosentasche zu tasten. Der Werbeaufdruck von Spencer's Car Repair war fast komplett abgescheuert, man konnte die Buchstaben nur noch fühlen. Er hielt kurz inne und starrte in die Dunkelheit. Der schmale Pfad durch den Wald verschwamm im dichten Unterholz. Die Bäume wuchsen hier ungeordnet. Trevor war bereits über mehrere Wurzeln gestolpert, die Überreste eines Spinnennetzes hingen an seinem Ärmel. Irgendwo vor ihm bahnten sich Sam und Dylan ihren Weg durch die Wildnis. Schon vor Minuten hatte er sie aus den Augen verloren und nur das gelegentliche Knacken von Ästen verriet, dass sie noch vor ihm waren.
Ein Pfiff löste sich. Trevor setzte sich in Bewegung und schloss als letzter des schwarzgekleideten Trios auf.
Der Stiernacken von Sam zeichnete sich vor einem Baumstamm ab. »Wir sind da.« Der Älteste deutete weiter den Pfad entlang.
Trevor versuchte krampfhaft etwas zu erkennen. Der Wald schien in knapp zweihundert Metern zu enden, dahinter zeichneten sich ein Weg und eine efeubedeckte Mauer ab. »Und du bist sicher, dass niemand da ist?«
»Komm schon, sei nicht so ‘ne Pussy! Hier ist keine Sau weit und breit!«
Trevor ärgerte die Zurechtweisung. »Und was sind das für Freaks, die hier mitten im Wald wohnen?«
»Irgendso ‘n altes Ehepaar. Die haben wohl noch ‘n Haus in Florida. Leo von der Tankstelle hat mir gesagt, dass sie den ganzen Mai da hocken.«
»Dann werden sie ihren Kram wohl nicht vermissen!« Dylan zog seine Kapuze über die Stoppelhaare. Er reckte den Kopf erwartungsvoll in Sams Richtung, der weiterging.
Trevor fühlte sich mulmig. Sie waren schon häufig in Gebäude eingestiegen, es hatte sich aber immer um Lager und heruntergekommene Bungalows gehandelt. An der Mauer bestätigte sich seine Befürchtung: Umrahmt von einem gepflegten Rasen zeigte sich ein zweistöckiges Wohnhaus mit Holzvertäfelung. Das war eine Nummer größer, eine gewaltige Nummer größer! Die Fensterläden waren heruntergelassen, die Einfahrt leer. Wie Sam versprochen hatte, sah alles verlassen aus. Trevor fragte sich, ob es eine Alarmanlage gab. War das nicht naheliegend, wenn die Bewohner häufiger ihr Haus verließen?
Behände kletterte er über die Mauer und pirschte im Schatten von Büschen an das Gebäude heran. Gerade, als er sich aus der Deckung wagen wollte, durchschnitt ein greller Schrei die Stille.
»Fuck, was …?!«, entfuhr es Dylan.
»Das ist nur ’ne Schleiereule.« Obwohl Trevor den Ruf des Tieres sofort erkannt hatte, raste sein Puls.
»Gut, dass wir unseren Pfadfinder dabei haben.« Sam grinste süffisant.
Trevor ignorierte die Frotzelei und zog sein Dietrich-Set aus der Hosentasche. Zu seiner Erleichterung erwartete ihn ein ganz gewöhnliches Sicherheitsschloss und es dauerte nicht lange, bis die ersten Kernstifte einrasteten.
Dylan streunte in seiner üblichen Art um das Haus herum, um so mehr erschrak Trevor, als die Nervensäge plötzlich wieder neben ihm stand. »Und was hast du Milly erzählt, was du heute machst?«
Er warf einen Seitenblick in Dylans Krötenaugen. »Ich hab ihr gesagt, ich wär im Jimmy’s – dir dabei zusehen, wie du mal wieder erfolglos die blonde Kellnerin angräbst.«
»Mann, Jungs, schaltet mal ’nen Gang runter!« Sams sich anbahnende Predigt wurde durch das Klacken des Schlosses im Keim erstickt. Der Ältere pfiff leise.
Trevor verneigte sich und Dylan nutzte die Gelegenheit, um sich als Erster durch die Tür zu schieben. Mit angeschalteter Taschenlampe folgte Trevor ihm in eine Diele, die durch eine Glastür vom restlichen Haus getrennt war. Die Luft war stickig. Sein Blick überflog eine Anrichte mit Familienbildern und einer leeren Blumenvase.
»Ich geh ins Wohnzimmer«, sicherte sich Dylan ein Filetstück.
»Von hier aus kommt man bestimmt auch in die Garage.« Sam, mittlerweile hinter ihnen, grinste.
»Ich geh nach oben.« Trevor fragte sich, ob er Schmuck für Milly finden würde, andererseits würde sie ahnen, woher die Beute kam und ihm eine Szene machen. Bei einem Fernseher, den er hoffte im Schlafzimmer zu finden, würden ihre Ermahnungen sicherlich halbherziger werden. Vielleicht gab es sogar ein Arbeitszimmer mit einem Computer oder etwas anderem, das man gut verkaufen konnte.
Er erklomm die Treppenstufen und die Schritte seiner Begleiter wurden leiser. In der oberen Etage war es völlig still. Den Flur schmückte eine gerahmte Zeichnung vom amerikanischen Doppelkontinent mit Vögeln und deren Zugrouten. Er stockte. Was für ein komischer Zufall! Milly hatte zu seinem Leidwesen herausgefunden, dass er als Junge fasziniert von Vögeln war. Seitdem lag sie ihm in den Ohren, er solle sich ihrem Onkel, einem Tierforscher, als Hilfskraft anbieten. Als hätte dieser nichts Besseres zu tun, als einen Schulabbrecher einzustellen! Nein, die regelmäßigen Ausflüge mit Sam und Dylan, kombiniert mit einem Aushilfsjob hier und da, waren viel greifbarer. Wenn Trevor nach jemandes Pfeife tanzen wollte, hätte er auch gleich bei seinem Alten bleiben können.
Er warf einen prüfenden Blick durch die geöffneten Türen und fand das Schlafzimmer. Ein moderner Fernseher mit Flachbildschirm thronte gegenüber einem Boxspringbett. Jackpot!
Ein Geräusch von unten ließ ihn heftig zusammenfahren. Es war ein Schreien, ein Kreischen, das er zunächst gar nicht Dylan zuordnen konnte. Mit Mühe verstand er ein grauenerfülltes »Nein!«.
Plötzlich hörte er Schritte in einem der Nebenzimmer. Nicht Sams schwerer, zielstrebiger Gang, jemand schien zu schlurfen, ja fast zu lahmen. Er machte einen Satz nach hinten und sah einen Schatten in den Flur fallen. Eine Gestalt, komisch unförmig, verzerrt. Panisch fuhr seine Hand zum Gürtel, an dem sein Klappmesser steckte. Unten klirrte eine Scheibe, ein weiterer Schrei von Dylan folgte. Dann hörte er Sam brüllen – sogar Sam! Seine Hände zitterten so stark, dass ihm die Klinge beim Öffnen gegen den Finger schnappte. Er musste hier raus. Was auch immer vorging, er durfte keine Sekunde verlieren!
Das Messer eng vor sich am Körper haltend, betrat er den Flur. Er schien ihm dunkler als vorher. Eine unnatürliche Angst bemächtigte sich seiner. Er sah nur noch den Treppenabsatz. Raus! Raus hier! Er rannte los. Da trat etwas Schwarzes in seinen Weg, eine Gestalt – wallender schwarzer Stoff, todesbleiche Haut – und sein angstbenebelter Verstand setzte für einen Moment aus.
»Aus dem Weg!« Er riss die Hand nach vorne, wollte die Gestalt von sich wegdrängen, sich retten. Auf einmal war sie ganz nah.
Ein weiteres Klirren ließ ihn wieder zu Sinnen kommen. Das schwarze Etwas war auf den Boden gesunken. Es war ein Mensch, eine Frau, vermutlich um die Siebzig, in einem schwarzen Morgenmantel. Kalter Horror überkam ihn. Er hielt immer noch das Messer. Seine Finger waren klebrig.
»Ma’am? Madam?« Er kam auf die Knie und horchte. Kein Atem.
Die Taschenlampe war ihm aus der Hand gefallen und über den Boden gerollt. Nun griff er nach ihr und richtete den Lichtkegel auf die liegende Frau. Eine Lache, Blut – Blut strömte aus dem Körper, tränkte den Teppich. Der Blick in ihr Gesicht ließ ihn erstarren. Für einen Moment glaubte er, ihm würde schwarz vor Augen. Auch wenn sie viel älter war, sie hatte das Gesicht von Milly. Das Streiflicht der Lampe offenbarte jedes Detail des faltigen Antlitzes. Er erkannte die Narbe an der Augenbraue, die seine Freundin sich zugezogen hatte, als sie als Kleinkind von einem Stuhl gefallen war. Er … er musste hier weg. Seine Beine gaben fast nach, als er sich aufrichtete. Mühsam erreichte er die Treppe, als sein Blick auf ein Bild an der Wand fiel. Ein Ehepaar war abgebildet, die Frau, die nun leblos auf dem Boden lag und ein Mann, ein gemütlicher älterer Mann mit grauen Locken. Er blinzelte. Das konnte nicht sein. Das konnte nicht … Verstört beugte er sich vor und registrierte einen Zeitungsausschnitt, der gerahmt neben dem Bild hing. »Trevor und Milly Davis auf dem 26. Internationalen Ornithologischen Kongress«. Er stolperte rückwärts, fast über das Treppenpodest. Im allerletzten Moment griff er nach dem Geländer und stürmte die Stufen hinab.
Vor dem Haus prallte er fast gegen Sam, der mit verstörter Miene und offensichtlich orientierungslos in die Ferne starrte. Dylan lag zusammengekrümmt am Boden.
»Was macht ihr denn? Los! Kommt schon!« Es erleichterte ihn, dass auch der Jüngere aufsprang. Zusammen rannten sie weiter, weiter weg vom Haus. Schon bald verschwand es hinter den Bäumen in der Dunkelheit.
Trevors Lunge brannte, als sie den abseits des Forstwegs stehenden Ford erreichten. Sam startete den Motor, wendete und beschleunigte so stark, dass sie durch eine Staubfontäne schossen. Er raste über den Waldweg, bis sie den Highway erreichten. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Erst jetzt erinnerte sich Trevor an das Blut, das noch an seinen Händen und seiner Kleidung kleben musste. So unwahrscheinlich es auch war, dass sie eine Streife trafen, bei Sams Geschwindigkeit würde man sie auf jeden Fall anhalten. Ängstlich hob er die Hände, um etwas zu erkennen. Kein Blut – nur Dreck. Wie konnte das sein? Seine Finger glitten in die Hosentasche, doch das Messer war nicht mehr da. Nur das Feuerzeug.
Sam räusperte sich schwerfällig. »Wollt ihr … wollt ihr noch zu Jimmy’s?«
Dylan schwieg. Trevor starrte nach wie vor auf seine Hände und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. Dieses Haus. Lebten Milly und er dort? Hatte er sie umgebracht? Aber wie konnte das sein? Er dachte wieder an das Bild. Der ornithologische Kongress. Vögel. Es ging um Vögel. In einer fernen Zukunft.
Langsam ließ er seine Hände sinken und schaute nach vorne. »Nein. Lass mich zu Hause raus.«
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